Ghost of Tsushima ist das letzte große Exklusivspiel für die PS4. Unser Review findet für euch heraus, was in dem Samurai-Abenteuer steckt.
Die Mongoleninvasion reibt die Samurai der Insel Tsushimas fast restlos auf. Als einer der letzten Überlebenden sieht sich Jin Jakai in der Pflicht, die Invasoren von der Insel zu vertreiben. Das von Sucker Punch entwickelte Action-Adventure Ghost of Tsushima ist das fulminante Finale der exklusiven PS4-Spiele dieser Generation. Doch wie gut spielt sich Ghost of Tsushima und verdient es all das Lob, das es gerade erhält?
GROSSARTIGE KÄMPFE MIT KATANA, BOGEN UND WURFWAFFE
Wenn Stahl aufeinanderprallt, ist Ghost of Tsushima in seinem Element: Als Samurai begegnet ihr den feindlichen Mongolen mit eurem Katana, das grundlegend mit einem schweren, einem leichten Angriff und mit Blocken daher kommt. Ähnlich wie in God of War indiziert ein rotes Aufleuchten der Gegner, wenn sich ein Angriff mal nicht blocken lässt. Dies entschlackt das Erkennen von blockbaren und unblockbaren Angriffen. Im Verlauf des Spiels schaltet ihr immer mehr Funktionen für die Kämpfe frei – ihr erhaltet einen Bogen und unsamuraihafte Waffen wie Bomben und Kunais. Außerdem erlernt ihr neue Fähigkeiten für das Kämpfen mit dem Schwert und schaltet Kampfhaltungen frei. Nicht nur ist jede von ihnen gut gegen eine bestimmte Art von Gegnern, sondern sie lassen sich jeweils noch aufleveln, um sie zu verbessern und Spezialangriffe freizuschalten. Die Auswahl an Freischaltungen, von denen ein paar hinter speziellen Quests verborgen sind, hat mich überzeugt und motiviert. Neue Angriffe zu lernen, ist immer eine coole Sache und Ghost of Tsushima wird euch mehrfach sinnvolles, neues Spielzeug übergeben.
Von Sekiro hat sich Ghost of Tsushima seine Stagger-Leiste ausgeliehen: Mit schweren Angriffen, wobei dies besonders effektiv bei der Wahl der richtigen Haltung ist, lassen sich die Staggerleisten von Gegnern füllen. Einmal gefüllt bringt sie das zum Taumeln, was sie kurzzeitig sehr verwundbar macht. Dazu kommt die Spezialressource Resolve, die einem das Spiel als goldene Kreise am unterem Bildschirm anzeigt. Sie dient dazu, sich zu heilen, und später als Ressource für bestimmte Fähigkeiten. Wieder auffüllen lässt sie sich durch Aktionen wie Paraden oder perfekte Blocks.
Durch die Fähigkeiten-Freischaltungen werden die Kämpfe von Tsushima immer vielfältiger, so dass ihr euch im späteren Verlauf in bester Action-Adventure-Manier durch Gegner haut – außer ihr passt nicht auf. Für weniger geübte Action-Adventure-Fans kann bereits der mittlere Schwierigkeitsgrad bei Unachtsamkeit recht fix Tode produzieren. Wer aber wirklich eine Herausforderung sucht, sollte auf schwer spielen. Bei all dem Lob, die Spielerkamera von Ghost of Tsushima wird euch ärgern: Wie üblich lässt sich die Spielerkamera mit dem rechten Stick des Controllers bewegen und das war es. Ghost of Tsushima verlässt sich darauf, dass seine eigene Kameraplatzierungslogik ausreicht, damit die Spielerinnen und Spieler immer den Überblick behalten und man zu Not etwas nachjustiert. Die Kamera lässt sich nicht auf Gegner fokussieren oder ähnlich anpassen. Die Folge ist, dass ihr immer wieder mit ihr Kämpfen werdet. Unzählige Male kämpfte ich in Ghost of Tsushima quasi blind, weil gerade ein Baum, Gebäude, Stein oder Sonstiges im Weg stand und ich nicht schnell die Kamera nachjustiert habe.
Trotz des Kameraproblems sind Ghost of Tsushimas-Kämpfe eine seiner absoluten Stärken und machen zumindest mir sehr viel Laune. Gerade das schwer in Worte zu fassende Kampfgefühl und die Kampfanimationen haben mich sehr überzeugt. Es gibt wenige Spiele derzeit, in denen ihr bessere Kämpfe bekommt.
SCHLEICHEN & LAUSIGES KLETTERN
Nebst der Kämpfe gibt es immer wieder Missionen, in denen Heimlichkeit angesagt ist. Schleichen offenbart sich in Ghost of Tsushima zwar als funktional, aber rudimentär. Geschlichen wird aus der Hocke, hohes Gras macht einen quasi unsichtbar und es gibt ähnlich wie in Assassin’s Creed Sturzattentate, Attentate sowie Kettenattentate gegen Gegner, die einen nicht gesehen haben. Tötungen aus universeller Deckung heraus oder das Ziehen von Gegnern über Kanten haben es nicht ins Spiel geschafft. In seinen Schleichmissionen ist Ghost of Tsushima nicht unfair und alles in allem funktioniert auch alles so, wie es soll. Doch am Ende gibt es eigentlich keinen guten Grund, in Ghost of Tsushima zu schleichen. Gegner frontal anzugreifen, bereitet nicht nur viel mehr Spaß , sondern ist auch die effektivere und weniger Zeit kostende Strategie.
Zwar kann man Gegner nicht über Kanten ziehen, aber Sin Jakai kann klettern – also zumindest da, wo es das Spiel auch wirklich will. In der Spielwelt zeigt einem Ghost of Tsushima sehr deutlich, an welchen Felswänden Jin hochklettern kann. Später erhält er noch einen Greifhaken, mit dem er sich an vorgegebenen durch Seilen markierten Punkten hochziehen oder über Abgründe schwingen kann – zugegebenermaßen ein cooles Feature. Was es jedoch schmerzlich vermissen lässt, ist das parcourartige Klettern wie man es in einem Assassin’s Creed erwarten würde. Jin kann sich maximal an einem Vorsprung an einem Gebäude hochziehen und über Seile laufen – vielmehr ist nicht drin. An einigen Stellen führt das zu überraschenden oder gar nervigen Situationen. In einer Hauptmission kämpft Jin auf mongolischen Schiffen. Fällt er dabei ins Wasser kann er nicht einfach an der Seite des Schiffes wieder hochklettern, wie es jede Assassin’s Creed-Hauptfigur könnte. Anstatt dieser einfachen Lösung muss er extra zu einer Leiter schwimmen muss, mit der jedes der Schiffe praktischerweise ausgestattet ist.
ZU VIEL SCHWARZ-WEISS UND GEFÄHRLICHER KITSC
Mangelnde Kletterfähigkeiten sind ein Ärgernis, aber verkraftbar, eine wesentlich größere Schwäche von Ghost of Tsushima ist sein übergreifendes Writing: Die bösen Mongolen sind sehr böse. Ähnlich wie viele Assassin’s Creed-Spiele zeichnet Ghost of Tsushima ein eindimensionales Gut-gegen-Böse in seiner Handlung. Es stellt die Mongolen als brutale Invasoren dar, die immer wieder brutale Kriegsverbrechen begehen. Sie pflastern die Spielwelt von Ghost of Tsushima derart mit Leichen getöteter Zivilisten, dass das Niemandsland von Witcher 3 wie ein Naturschutzgebiet wirkt. Dieses Vorgehen erscheint glaubwürdig. Schließlich gelten die mongolischen Invasionen der Geschichte insgesamt als brutal und wurden in Europa als Strafe Gottes angesehen.
Problematisch ist, dass es gleichzeitig die Samurai und ihre Ideal romantisiert sowie ihre Ideale überhöht. Es sieht sie als Beschützer Tsushimas und es wird immer wieder unwidersprochen betont, dass die Samurai Ordnung auf die Insel gebracht hätten. Ehre gehe den Samurai über alles. In gewisser Maßen überhöht Ghost of Tsushima die Samurai zu Figuren ähnlich der mystischen Ritter aus europäischen Sagen und kollidiert damit mit der Wahrheit. In der Realität waren die Samurai die feudalen Herren Japans, die als brutale Warlords die Ordnung auf den Inseln aufrecht erhielten und denen Macht wesentlich wichtiger war, als die Lebensqualität ihrer Bevölkerung. So erklären sich auch die brutalen Kriege zwischen den Samurai-Clans zum Beispiel im Senguko Jidai, dem Setting von Nioh und Total War: Shogun 2. Es ist das Zeitalter des Krieges, in dem sie die Insel über Jahrzehnte in Blut tränkten, um zu entscheiden wer der nächste Shogun wird. Mit dieser Meinung bin ich nicht allein, Polygon hat in einem Artikel beleuchtet und erläutert, warum die Darstellung der Samurai in Ghost of Tsushima problematisch ist, da es unter anderem unbeabsichtigt dem Narrativ der Rechtspopulisten Japans folgt. Meiner Ansicht nach machen diese Eindimensionalität und dieses Tonproblem Ghost of Tsushima aber nicht kaputt, sie hinterlassen aber einen faden Beigeschmack.
MISSIONEN UND NEBENQUESTS
Was dem Spiel hingegen gut gelungen ist, sind die Erzählungen rund um ihre Nebenfiguren. Im Laufe der Queststränge erzählt Ghost of Tsushima spannende und gut geschriebene Nebengeschichten, die über das Schwarz-Weiß des Haupthandlungsbogens hinausgehen. Auch die Nebenstränge in der Haupthandlung, die mit Jin’s Vergangenheit oder anderen Figuren der Welt zusammenhängen, sind cool gemacht. Die Inszenierung der Hauptstory und der größeren Nebenmissionen hat mir gut gefallen, die Dialoge wirken stimmig und vor allem in Englisch und Japanisch gut vertont. Ja, richtig gelesen, wer mag kann Ghost of Tsushima mit japanischer Vertonung und englischen Untertiteln spielen. Mit der deutschen Vertonung von Jin Sakai konnte ich hingegen nicht warm werden.
Etwas wechselhaft sind bestimmte Missionselemente: Ich mag keine Missionen, in denen man durch einen Fehler scheitern kann und in einem Ladescreen landet. Übrigens: Letztere sind selbst auf der Standard-HDD der PS4 Pro unerhört kurz. Sucker Punch hat hier eine technische Meisterleistung hingelegt. Laut Kotaku mussten sie sogar die Ladezeiten stellenweise künstlich verlängern, damit noch Zeit bleibt die Ladescreentipps zu lesen. Die zuvor genannten Missionen mit plötzlichem Scheitern setzt Ghost of Tsushima vor allem bei Schleichpassagen einem immer wieder vor – in meinen Augen ist das etwas altbacken. Nicht weg denkbar aus dem Missionskatalog moderner Spiele sind Missionen mit Eskortanteilen oder Abschnitten, in denen man einem NPC „folgen“ muss. Sehr wohltuend ist der Umstand, dass NPCs Jin Sakai meistens in exakt eurem Tempo hinterhergehen beziehungsweise reiten und ihr nicht auf sie aufpassen müsst. Ghost of Tsushima wird hier also eure Nerven mehr schonen als so manch anderes Spiel.
KLASSE ATMOSPHÄRE UND MEHR ZU PFERDEN SOWIE ZUR OPEN WORLD
Allgemein ist Reiten aus Ghost of Tsushima nicht wegzudenken, sonst wäre man auch trotz Schnellreise, für die ich sehr dankbar bin, viel zu langsam in der Spielwelt unterwegs. Insgesamt hat mir das Reiten auch gut gefallen. Es ist nicht so restriktiv wie in Red Dead Redemption 2 und fühlt sich dennoch so an, als hätte Sucker Punch viel Mühe in es investiert. Das heißt aber nicht, dass ihr mit eurem Pferd von Steilhängen springen könnt, daraufhin bricht Pferd samt Jin Sakai zusammen und beide müssen sich aufrappeln. Sorgen machen müsst ihr euch um euer Pferd aber nicht: Es ist unsterblich und flüchtet, wenn um es herum ein Kampf ausbricht. Alles in allem ist euer Pferd in Ghost of Tsushima euer treuer und glaubhaft animierter Begleiter.
Darüber hinaus muss man Ghost of Tsushima vor allem eins zu Gute halten: Es ist unglaublich atmosphärisch und sieht wirklich gut aus. Sucker Punch holt sehr viel aus der PS4 und PS4 Pro raus, um Ghost of Tsushima zu einem wirklich gut aussehenden Spiel zu machen. Mit dazu trägt der mit glaubhafter Beleuchtung ausgestattete Tag- und Nachtwechsel bei. Ghost of Tsushima sieht nicht nur gut für ein PS4-Spiel aus. Selbst in Konkurrenz mit Highend-Grafikspielen am PC sieht es wirklich gut aus. Die gute Optik verbunden mit malerischen Kulissen, einem passenden Soundtrack sowie stimmungsvollen Effekten verleihen Ghost of Tsushima eine Atmosphäre, der man sich schwer entziehen kann.
Ebenfalls der Open World von Ghost of Tsushima kommt diese Atmosphäre zu Gute. Ein teilweise geäußerter Kritikpunkt gegenüber dem Spiel ist, dass seine Open World repetitiv sei. In gewisser Maßen ist da etwas Wahres dran, aber vor allem deswegen weil es in der Natur von Open Worlds liegt, die Studios mit einem Potpourri an Aktivitäten füllen.
Im Vergleich zu anderen Open Worlds lässt sich positiv sagen, dass Ghost of Tsushima es nicht mit dem Platzieren von Aktivitäten übertreibt und auch eine gewisse Vielfalt aufweisen kann. (Also gleich zwei Dinge, die das viel gerühmte Witcher 3 nicht von sich behaupten kann.) Den Klassiker – befreibare Forts, Straßensperren und Lager gibt es natürlich auch in Ghost of Tsushima und darüber bin zumindest ich recht froh, weil ich einfach gern diese Art von Aktivität abschließe. Insgesamt sind die Gegnerlager von Ghost of Tsushima unterhaltsam, auch wenn Ubisoft sie inzwischen etwas vielfältiger hinbekommt. Außerdem gibt es noch Erkundungsaktivitäten und kleine Minispiele wie einem Fuchs zu einem Schrein folgen, Bambusstangen durch das schnelle Drücken einer Tastenkombination zerschneiden, zu einem Schrein gelangen oder Haikus schreiben. Zusammengenommen empfinde ich Ghost of Tsushimas Open World als nicht besonders repetitiv, was vermutlich mitunter an der Atmosphäre liegt, mit der es mich eingefangen hat. Allerdings habe ich auch nicht jeden einzelnen Marker abgeschlossen oder erkundet.
DIE GAMEPLAY-KNIFFE VON SUCKER PUNCH
Bisher lässt dieses Review eine Sache vermissen, Erwähnungen dessen, was Sucker Punch alles ins Spiel eingefügt hat, um einem das Leben zu erleichtern oder die das Spiel noch besser machen. Ghost of Tsushima strotzt vor größeren und kleinen Game Design-Kniffen. Ganz vorne dabei ist der Umstand, dass es völlig ohne Minimap auskommt und, das mag jetzt klischeehaft klingen, den Wind einen leiten lässt. Der Wind in Ghost of Tsushima weht immer in exakt die Richtung, in der sich das markierte Ziel befindet. Dieses Prinzip lässt einen lediglich dann im Stich, wenn man in einem Außenposten steht und zu den verschiedenen Händlern navigieren will. Doch insgesamt vermisse ich die Minimap nicht. Will man sich doch einmal einen Überblick verschaffen, reicht ein Blick auf die Weltkarte. Auf dieser sind nicht im vornherein alle Marker und Missionen sichtbar, sondern Jin Sakai muss erst den ,,Nebel des Krieges“ lichten. Das lädt zum Erkunden ein und lässt die Open World nicht so erschlagend wirken.
Sucker Punch hat sich von Insomniac Games‘ Spider Man dazu anstacheln lassen, einen feature-reichen Fotomodus zu entwickeln. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Vielzahl an Möglichkeiten ist erschlagend und er bedient sich sehr intuitiv – demnach ein Foto-Modus für amateurhafte und professionelle Screenshots zugleich.
Schon im vornherein kommuniziert Ghost of Tsushima mit einer kleinen Anzeige wie zum Beispiel Mission 1 von 3, wie viele Quests es in einer Questreihe gibt. Klein aber schön, wenn man sich fragt, was da noch alles auf einen zukommt. Außerdem stößt man auf manche Quests dynamisch in kleinen Events. Wenn ich es richtig verstanden habe, plant Ubisoft genau so etwas für ihr kommendes Assassin’s Creed: Valhalla. Andere Quests teilen einem aber auch NPCs in der Spielwelt mit, wenn sie etwas von bestimmten Ereignissen mitbekommen haben, woraufhin das Spiel einen Marker auf der Weltkarte platziert. Viele der erwähnten Features und weitere gibt es zusammengefasst in einem Twitter-Thread zum Nachstöbern, in dem teilweise Sachen aufgelistet sind, die mir beim Spielen gar nicht aufgefallen sind. Zum Beispiel hat die Ehrenhaftigkeit der gewählten Kampftechniken einen Einfluss auf das Wetter.
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