Mit Marvel’s The Avengers erfüllte Marvel Studios 2012 seinen Masterplan, den es sich mit fünf Filmen zuvor mühsam zurecht gelegt hatte. Ein erweitertes Comicfilm-Universum ermöglichte der Filmschmiede, auf ein breites Spektrum an bekannten Charakteren und Geschichten zurückzugreifen und zugleich eher unbekannteren Leinwand-Neulingen das helle Licht der Kino-Aufmerksamkeit zu gewähren, das momentan über allem scheint, das nur irgendwie das ikonische Marvel-Logo trägt. Mit einem solchen Fundament unter den teuren Schuhen genießen die Filmemacher mittlerweile so einige erzählerische Vorteile. The First Avenger: Civil War schöpft in diesem Fall aus den ein oder anderen Vorlagen, die Marvel’s The Avengers 2: Age of Ultron (2015), The Return of the First Avenger (2014) oder Ant-Man (2015) bereits vorgearbeitet haben.
So beginnt Civil War mit einem Einsatz der Avengers um Captain America (Chris Evans), Black Widow (Scarlett Johansson), Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) und Falcon (Anthony Mackie) in der Stadt Lagos, der bei dem Versuch, ein Bombenattentat abzuwehren, viele zivile Opfer fordert. Nachdem es derartige Kollateralschäden bereits in New York und Sokovia gab, wird von den mächtigen Individuen gefordert, sich einem speziellen Gremium der Vereinten Nationen zu unterstellen. Dazu wird ihnen ein Abkommen vorgelegt, gemeinsam mit der Bitte, es zu unterzeichnen, oder das Superheldendasein an den Nagel zu hängen. Der von Schuld zerrüttete Tony Stark (Robert Downey Jr.) sieht keinen anderen Weg, als sich dem Willen der Weltregierungen zu beugen, um mehr Kontrolle in das Handeln seines Teams zu bringen. Captain America hingegen will sich selbst und seinen Mitstreitern nicht die Freiheit rauben, nach eigenem Ermessen handeln und Leben retten zu dürfen. Während sich die anderen Helden nach und nach jeweils auf die Seiten des blauen oder roten Anführers stellen, tritt plötzlich der Winter Soldier (Sebastian Stan) – ein gesuchter Profikiller und Steve Rogers ehemaliger bester Freund – auf den Plan. Als sich Captain America letztlich dazu entscheidet, seinem alten Freund noch ein letztes Mal aus der Klemme zu helfen, scheinen die Fronten klar und alte Freundschaftsbunde sind nicht mehr…
„In unserem Job versuchen wir so viele Leute wie möglich zu retten – Manchmal heißt das, nicht alle.“
Nach The Return of the First Avenger kehren Anthony und Joe Russo erneut in die Regierstühle zurück, um das Drehbuch von Christopher Markus und Stephen McFeely zu inszenieren, welche ebenfalls bereits das Skript für den letzten Captain America-Film verfassten. So ist es kaum verwunderlich, dass sich eben auch Civil War sowohl inhaltlich als auch stilistisch am viel gefeierten Vorgänger orientiert. Diesmal bedient sich das Autoren-Team jedoch einer Thematik, die für das MCU eher Neuland ist. Denn während Iron Man, Hulk und Co. in vergangenen Filmen (nicht auch zuletzt für den Entertainment-value) ganze Städte in Schutt und Asche legten, nur um anschließend als strahlende Helden gefeiert zu werden, müssen sie im neusten Streifen Rechnung für all ihre Verfehlungen ablegen. Jedoch nicht nur vor der Regierung, die ihnen im Nacken sitzt, sondern auch vor sich selbst. Besonders Tony Stark, der sich unter anderem für die Katastrophe in Sokovia die Schuld gibt, wird von seinen persönlichen Dämonen dazu motiviert, dem Abkommen zuzustimmen.
Auf dieselbe Art geben die Autoren jedem der zentralen Schlüsselfiguren eine ganz persönliche und nachvollziehbare Motivation, um sich auf eine entsprechende Seite zu stellen. Für die Nebenfiguren, von denen es in Civil War eine kleine Armee gibt, werden die Handlungsmotivationen nicht gänzlich so filigran ausgeführt, wie für die Flaggenträger Cap und Iron Man. Das muss jedoch auch so sein, da sich der Film bei 10 weiteren (Rand-)Helden ansonsten in trägem Moral-Gesülze verstrickt und verloren hätte. Nicht, dass es auch so schon eine Mammutaufgabe für die Autoren gewesen ist, nahezu alle bisher gesehenen Marvel-Koryphäen (abzüglich Thor und Hulk) in einen gemeinsamen Plot zu schreiben. Und während ihnen hier die exakte Portionierung gelingt, etablieren sie auch noch zwei gänzlich neue Gesichter, deren Auftritt später noch einen ganz eigenen Absatz verdient! Neu ist auch Antagonist Baron Zemo (Daniel Brühl), der zur Abwechslung mal keine Atomraketen verschießt und ganze Welten zu vernichten droht. Zemo ist ein einfacher Mann, angetrieben von menschlichen Beweggründen und wird vielleicht gerade deshalb zu einem so gefährlichen Gegenspieler für die Avengers.
„Ich hab mich in euch getäuscht… Die Welt hat sich in euch getäuscht.“
Bestünde das Drehbuch lediglich aus diesem Story-Grundgerüst, um den Rest des Films zu einem Superhelden-Beat ’em up zu machen, wäre Civil War ein grundsolider Marvel-Blockbuster geworden. Was den Film jedoch von diesem abhebt, ist die Russo-typische Ernsthaftigkeit in der Erzählweise und die essenzielle Nähe zu seinen Protagonisten. Der Subplot um Caps besten Freund Bucky Barnes und dessen vielschichtige Vernetzung in die Handlung macht Civil War stellenweise mehr zum Thriller, als man es von Comicverfilmungen bisher gewohnt war.
Kontrastierend zu den zwischenmenschlichen Konflikten inszenieren die Russo-Brüder die wohl beeindruckendsten Action- und Kampf-Choreographien, die es bisher in Genrevertretern zu sehen gab. Egal, ob in klassischen 1-gegen-1-Prügeleien, wie denen zwischen Cap und Crossbones zu Beginn des Films, oder in den großen Gruppenkämpfen, wie der bildgewaltigen Schlacht auf dem Berliner Flughafen – die Action ist bis ins Detail durchdacht, intelligent choreographiert und hat das richtige Maß an bodenständiger Wucht. Neu ist, dass diese Szenen weniger dazu tendieren, bis ins überladene CGI-Schlachtfest aufgeblasen zu werden, wie man es von Comic-Filmen mittlerweile gewohnt ist. Hier hatten Marvel-Filme bisher die Vorliebe, ihren finalen Akt gerne mal mit großen Explosionen, Luftschiffen, die auf die Erde krachen oder ganzen Städten, die in den Himmel angehoben werden, aufzulösen. In Civil War erscheint die Action im Vergleich dazu fast schon unbedeutend, wenn sie nicht trotzdem deutlich mitreißender inszeniert wäre.
Unterstützt wird das Geschehen von starken Close-Ups der Kamera, die ein intensives „mittendrin-Gefühl“ erzeugen. In dynamischen Positionswechseln hingegen weiß die Kamera die Akteure fokussiert zu verfolgen, um im Eifer des Gefechts auch die Übersicht zu bewahren. Insgesamt erinnert die bodenständige und sparsam, jedoch wuchtig inszenierte Action an moderne Action-Thriller à la Bourne und James Bond. Das tut dem ernsten Stoff der Handlung ganz gut und gibt Civil War, der trotz seiner Relevanz ja „nur“ ein Captain America-Sequel ist, einen eigenständigen Ton.
„Ich weiß, wir sind nicht perfekt. Aber bei uns liegt es immer noch in den besten Händen!“
Während The First Avenger: Civil War also mit einem nachvollziehbaren Plot, menschlichen Charakteren im Selbstkonflikt und packenden Actionszenen erfolgreich jongliert, nutzt das Regisseuren-Duo zugleich die Gelegenheit, um seine Zuschauer heiß auf zwei gänzlich neue Projekte des MCU zu machen. Hierfür bekommt T’Challa (Chadwick Boseman), der junge König des fiktiven Königreichs Wakanda, seinen ganz eigenen, nicht unbedeutenden Platz in der Geschichte um den Winter Soldier und wird scheinbar mühelos in das Handlungs-Geflecht verwoben, ohne zwischen den altbekannten Avengers wie ein Fremdkörper zu wirken. Sein Alter Ego „Black Panther“ bringt aufgrund der neuartigen Hintergrundgeschichte und seinen animalisch-agilen Kampfbewegungen frischen Wind auf das Bürgerkriegs-Spielbrett.
Über die neue Marvel-Interpretation von Spider-Man, dessen Auftritt spätestens durch den 2. Filmtrailer bestätigt wurde, sollte man eigentlich gar nicht so viel erzählen. So viel sei dann aber doch gesagt: Tom Hollands jugendlich naive Darstellung funktioniert hervorragend in Kombination mit dem ein oder anderen Marvel-Kollegen. Man kann also beruhigt sagen, dass die Kooperation zwischen Sony und den Marvel Studios der einzig richtige Schritt für beide Seiten war, der beweist, dass Spidey einfach wunderbar in das Universum passt, an dem Marvel nun schon so lange arbeitet. [Klitzekleiner Spidey-Spoiler: Eine geniale Idee der Macher, Spider-Mans Outfit mit einem mechanischen Tony Stark-Update zu versehen. Die fokussierenden Augen, die je nach Situation wie bei einem Kamera-Objektiv größer und kleiner werden, geben Spider-Man erstmals in seiner Filmgeschichte Gesichtsmimik – und das trotz der starren Maske! Im Kampfgefecht weiten und schließen sich Spideys Augen je nach Situation und erlauben dem Sprüche-klopfendem Teenager auch im Kostüm ein wenig mimisches Schauspiel. Eine kleine, aber sinnvolle Neuerung für den Spinnenmann des MCU. Spoiler Ende.]
Völlig fehlerfrei bleibt das Russo-Sequel bei aller Lobhudelei leider auch nicht. Und obwohl man bei einem wirklich guten Film gerne mal aufs Meckern verzichtet, machen diese kleinen Makel dann doch den Unterschied zwischen guten Filmen und Meisterwerken aus. So fällt nun mal auf, dass der Plot, trotz geerdeter Nüchternheit, den ein oder anderen Konflikt etwas forciert, um auch rechtzeitig beide Teams für die finale Konfrontation auf jeweils eine Seite zu stellen. Während die Konfliktgenerierung und ihre Auflösung nicht ganz so plump wirken, wie im DC-Pendant Batman v Superman, kann sich Civil War auch nicht gänzlich von einer Versimplifizierung der Thematik freisprechen, die in der Comic-Vorlage eine noch existenziellere Tragweite besaß. Darüber hinaus wirkt das Filmende leider, angesichts seiner schweren Thematik, etwas vergeudet. Hier hätte der Film mit etwas mehr Mut die Grundfesten der Comic-Filme erschüttern und ein Zeichen setzen können. So wie es ist, verfällt es leider erneut in die altbewährten Grundmuster der Filmfortsetzungen und erlaubt der Geschichte nicht, in einer Art zum Ende zu kommen, die dem Rest des Films gerecht wird.